Nachwuchsförderung im Eiskunstlauf und ihre Tücken
Ist das aktuelle System der Nachwuchsförderung noch zeitgemäss und unterstützt es tatsächlich den langfristigen Erfolg im Spitzensport? Auf welche Bedürfnisse und Besonderheiten muss im Eiskunstlaufen Rücksicht genommen werden? Eine Analyse.
Art on Ice young talents 2025
Die nächste Denise Biellmann oder der nächste Stéphane Lambiel werden – viele junge Eiskunstlauftalente träumen davon, einmal an die Weltspitze zu kommen. Doch was braucht es dafür? Inwiefern ist eine Eiskunstlaufkarriere planbar? Welchen Preis – wortwörtlich und im übertragenen Sinne – zahlen Sportler:innen sowie die Familien dafür? Und zu welchem Zeitpunkt auf dem Athletenweg macht eine gezielte Förderung am meisten Sinn? Diese Fragen beschäftigen mich in der Weiterentwicklung unseres Nachwuchsprojekts «Art on Ice young talents».
Um gleich bei Stéphane Lambiel und Denise Biellmann zu bleiben: Sie sind gute Beispiele und Vorbilder für Kinder und Jugendliche. Denn trotz intensivem Training bereits im Kindesalter, viel Schweiss, unzähligen Stunden Arbeit und viel Verzicht sind sie heute noch gesund und können nicht nur auf eine erfolgreiche, sondern auch auf eine glückliche Karriere zurückblicken. Und sie sind heute noch im Sport engagiert. Was auch beide gemeinsam haben: Ohne die Unterstützung ihrer Familien – personell, mental sowie finanziell – wäre eine solche Karriere nicht möglich gewesen.
Oft fehlt es gerade in Randpsportarten an gezielter Talentförderung ausserhalb der Verbandsstrukturen. Und auch der Verband verfügt über beschränkte personelle und finanzielle Mittel. Schnell Erfolge zu erzielen bestimmt häufig, ob eine Sportlerin oder Sportler finanzielle Unterstützung erhält, sei es durch Förderbeiträge oder Sponsoring. Gleichzeitig müssen die Athlet:innen so in jungem Alter Schule, Privatleben und ein hohes Trainingspensum in Einklang bringen.
Nachwuchstalente 2009
Kimmy Repond 2022
Fokus auf langfristiges Potenzial statt kurzfristiger Erfolge
Dabei zeigt eine Studie von Sports Medicine, dass viele der erfolgreichsten Elite-Sportler:innen in ihrer Jugend nicht zu den leistungsstärksten gehörten, jedoch langfristig grössere Fortschritte erzielten als die Top-Junioren. Dies legt nahe, dass das Training von jugendlichen Sportler:innen weniger auf kurzfristige Erfolge in jungem Alter abzielen, sondern ihr Potenzial für eine langfristige Leistungssteigerung im Erwachsenenalter fördern sollte.
Wenn Förderprogramme und Sportstipendien die momentane Leistung der Jugendlichen zu stark betonen, könnte dies junge Athlet:innen, Coaches und Eltern dazu motivieren, kurzfristige Erfolge zu maximieren, was langfristig bezüglich Gesundheit, aber auch Leistung nachteilige Folgen haben kann.
Schwierigkeiten im Eiskunstlaufen: Fehlende Infrastruktur, hohe Ausgaben, Pubertät
Auch im Eiskunstlaufen ist es häufig so, dass viele der ausgewählten Nachwuchstalente später nicht das Elite-Niveau erreichen. Ein Grund, dass viele, besonders Mädchen, sich nicht wie erwartet entwickeln oder mit dem Sport gar früh aufhören: Oft stagniert die Entwicklung in der Phase des Wachstums und in der Pubertät und es wird zu wenig Zeit gegeben, mit den körperlichen Veränderungen umzugehen und die Technik zu adaptieren.
Der lang- statt kurzfristigen Entwicklung wird in den PISTE-Tests der Verbände, welche über die Kaderselektion und somit auch die Unterstützung entscheiden, Rechnung getragen. In einem umfassenden Screening inklusive des Athletenweges und der familiären Situation wird das langfristige Potenzial evaluiert.
Fünf Talente live bei Art on Ice 2025
Für fünf Jugendliche des Talent Teams sind Teil der Art on Ice 2025-Tournée und werden gemeinsam mit den Weltstars des Eiskunstlaufs auf dem Eis stehen: Für Ava D’Andrea, Tammaro Wyss, Ean Weiler, Elisabeth Dibbern und Olivia Bacsa geht damit ein grosser Traum in Erfüllung.
Die Kehrseite: Kommt die Unterstützung zu spät, ist die finanzielle Bürde für eine Familie oft zu gross. Eislaufen ist aus vielen Gründen sehr teuer. In der Schweiz, weil die Infrastruktur, also das Eis, rar und teuer ist. Zweitens, weil man ohne sehr viele Trainingsstunden – und hohen Kosten für Coaches – nicht mit den anderen Nationen mithalten kann. Und schliesslich, weil im Eiskunstlaufen Prestige und Lobby sehr wichtig sind. Heisst: Ohne ein international renommiertes – und deshalb oft teures – Coaching- und Choreografie-Team an der Seite, kann das Preisgericht schwer überzeugt werden.
Nachwuchsförderung mit Art on Ice young talents: Persönlichkeitsentwicklung und Spass im Vordergrund
Mit «Art on Ice young talents» wollen wir auf verschiedenen Ebenen ansetzen. Wir setzen auf eine Zusammenarbeit mit Swiss Ice Skating, um ressourcenschonend zu arbeiten. Wir unterstützen Läufer:innen in verschiedenen Alters- und Entwicklungsstufen, jedoch nur bis sie ins Elite-Alter kommen und dann hoffentlich durch ihre Leistungen Sporthilfe-Beiträge und Erfolgsbeiträge verdienen.
Die Erfolge an Wettkämpfen sind insofern ausschlaggebend, als dass unsere erste Selektion durch sie und die Kaderzugehörigkeit geschieht. Dann aber stehen bei uns die Freude, der Entertainment-Faktor und das Entwicklungspotenzial im Vordergrund. Bei der Auswahl der Athlet:innen sowie auch mit unserer Unterstützung: Wir stellen den Talenten verschiedene Expertinnen und Experten zur Verfügung. Und sie bekommen die Möglichkeit, bei Art on Ice aufzutreten. In diesem Zusammenhang dürfen wir auf die Unterstützung der AXA Schweiz zählen.
Unser Ziel bei der gesamten Unterstützung: Persönlichkeitsentwicklung, Spass, mehr Ausdruck, mehr Selbstbewusstsein – und sie so auf etwas andere Weise in ihrem Ziel, einmal an die Weltspitze zu kommen, zu unterstützen.
Sarah van Berkel, ehemals Meier, wurde 2011 Eiskunstlauf-Europameisterin, ist heute Journalistin und bei Art on Ice fürs Athletenmanagement und das Projekt «Art on Ice young talents» zuständig. Die 40-Jährige ist ein Gfrörli, sie liebt Kaffee und ist süchtig nach Nüssen.